Rollenbewusstsein als Schlüssel moderner Zusammenarbeit
Zwischen Führungskraft, Kolleg:in, Elternteil und Projektleitung wechseln wir täglich unsere Rollen – oft unbemerkt. Doch was passiert, wenn Rollenerwartungen unklar oder widersprüchlich sind? Warum Rollenklarheit heute über Zusammenarbeit, Vertrauen und Karriereverständnis entscheidet und wie du deinen eigenen Rollen bewusster begegnen kannst.

Tagtäglich interagieren wir miteinander und treten in Beziehungen zueinander. Sei es im Job, privat oder digital. Als soziale Wesen wollen wir gemeinsam was erleben oder etwas gemeinsam lösen und erarbeiten. Wir kommunizieren, um gegenseitiges Verständnis herzustellen. Dabei agieren wir selten als „nur wir selbst“, sondern oft in einer bestimmten Rolle: Kolleg:in, Führungskraft, Freund:in, Eltern oder Kinder.
Soziale Interaktion bezeichnet aufeinander bezogene Aktionen und Handeln von zwei oder mehreren Menschen sowie das wechselseitige aufeinander Einwirken und ist eng verknüpft mit Kommunikation.
Doch was genau ist eigentlich eine Rolle? Und warum ist es gerade heute so wichtig, ein bewusstes Verständnis für sich selbst, für andere und für das Zusammenspiel in Organisationen zu entwickeln?
Was ist eine Rolle – und warum ist sie mehr als ein Jobtitel?
Eine Rolle beschreibt die Summe aller Eigenschaften, Erwartungen und Verhaltensweisen, die eine Person in einem bestimmten sozialen Kontext wie Beruf oder Familie übernimmt. Sie ist an keine Position gebunden, sondern ergibt sich aus der Funktion und den Erwartungen anderer an die Person.
Im Gegensatz zur Stelle, die eher statisch beschreibt, welche Aufgaben eine Person ausführt, ist eine Rolle dynamisch . Sie entwickelt sich mit dem Menschen, dem Kontext und den Anforderungen. Eine Person kann mehrere Rollen gleichzeitig einnehmen, manche bewusst, andere unbewusst.
Beispiel: Die Geschäftsführung erwartet von ihren Führungskräften die Umsetzung der unternehmerischen und strategischen Ziele und stattet die Rollenträger „Führungskräfte“ mit Rechten und Pflichten aus. Innerhalb Ihres Primärteams untereinander sind die Führungskräfte in der Rolle als Kollege/in und von allen Mitarbeitern auch aus den anderen Abteilungen werden Führungskräfte wiederum als Führungskräfte wahrgenommen. Im Rahmen eines Projektes kann es auch sein, dass eine bestimmte Person aufgrund ihrer inhaltlichen Expertise als Projektmitglied agiert, obwohl sie in einem anderen Kontext Führungskraft ist.
Inwiefern betrifft das Konzept der Rolle das Individuum?
Wir wechseln täglich unsere Rollen – manchmal unbewusst, manchmal mit großem Kraftaufwand. Wie leicht oder schwer uns das fällt, hängt oft davon ab, wie sehr wir uns mit einer Rolle identifizieren können. Die wichtigste Frage dabei ist: Lebe ich diese Rolle oder spiele ich sie nur?
Wenn wir unsere Rollen bewusst gestalten, entsteht Authentizität. Doch wenn Rollenerwartungen und Selbstbild auseinanderklaffen, entsteht Spannung. Dann kann es sein, dass wir uns „falsch“ fühlen, obwohl wir lediglich versuchen, den Anforderungen gerecht zu werden.
Je besser wir unsere eigenen Stärken, Muster und Verhaltenspräferenzen kennen, desto gezielter und gesünder können wir Rollen ausfüllen, ohne uns selbst zu verlieren. Persönlichkeitsmerkmale und Kompetenzen bestimmen, wer für welche Rolle geeignet ist. Eine gesunde Organisation erkennt das an und schafft Rahmenbedingungen, in denen Menschen in ihre Rollen hineinwachsen dürfen.
Erwartungen an Rollen: Chancen und Fallstricke
Rollen entstehen im Zusammenspiel mit dem sozialen Umfeld. Andere Menschen haben bestimmte Annahmen darüber, was eine Person tun sollte oder wird. Diese Erwartungen wirken wie unsichtbare Skripte, nach denen wir agieren sollen.
Beispiel: Von einer Führungskraft wird erwartet, dass sie strategisch denkt, Klarheit schafft, Orientierung gibt – gleichzeitig soll sie empathisch, offen und teamnah sein. Diese vielfältigen Erwartungen können Rollenkonflikte erzeugen, vor allem dann, wenn sie sich widersprechen oder nicht kommuniziert werden.
Fehlt das Bewusstsein für die Rollenvielfalt im beruflichen Alltag, drohen Missverständnisse: Verhalten wird nicht als rollenbedingt wahrgenommen, sondern der ganzen Person zugeschrieben. Wer in einem Meeting kritisch nachfragt, wird schnell als „schwierig“ abgestempelt, obwohl er gerade in der Rolle des Qualitätswächters agiert.
Wie hängen Organisationen und Rollen zusammen?
Unternehmen stehen heute unter vielfältigem Druck: Digitalisierung, Innovations- und Kostendruck, disruptive Geschäftsmodelle, Fachkräftemangel sowie ein tiefgreifender Generationswechsel prägen die Arbeitswelt. Diese Veränderungen erfordern eine neue Art der Führung.
Daraus ergibt sich eine deutlich höhere Erwartung an das Verhalten von Führungskräften. Sie agieren nicht mehr nur disziplinarisch, sondern übernehmen zusätzlich Rollen als Coach, Mentor:in, Trainer:in oder strategische:r Berater:in. Die sogenannte „ideale Führungskraft“, die all diese Rollen mit gleicher Qualität vereint, ist in der Realität kaum zu finden.
Gerade deshalb ist es sinnvoll, Führungsaufgaben auf mehrere Personen zu verteilen. Dazu eigenen sich besonders agile oder selbstorganisierte Strukturen. Das Rollenkonzept ermöglicht es, Verantwortlichkeiten klar aufzuteilen und Führung auf mehrere Schultern zu verteilen. So wird nicht nur die Belastung reduziert, sondern auch die Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit der Mitarbeitenden gestärkt.
Die Rolle wird zum zentralen Strukturelement in selbststeuernden Organisationen. Sie ermöglicht klare Verantwortlichkeiten in den Gruppen und schafft Struktur, ohne auf starre Hierarchien zurückzugreifen. Fehlt diese Klarheit, entstehen informelle Machtkämpfe um Einfluss – mit negativen Folgen für Motivation, Zusammenarbeit und Leistungsfähigkeit.
Rollen bilden dabei die Grundlage für Organisationseinheiten. Dies können ein klassischer Unternehmensbereich, ein temporäres Projekt, ein crossfunktionales Team oder eine taskbezogene Gruppe sein. Auf diese Rollen werden Verantwortung und Befugnisse übertragen. So erhalten sie die notwendige Autorität, um Aufgaben eigenverantwortlich umzusetzen.
Rein selbststeuernde Organisationen ersetzen die klassische pyramidenförmige Hierarchie durch autonome, interdisziplinär besetzte Organisationseinheiten. Diese organisieren sich selbst, verfügen über alle nötigen Kompetenzen und stimmen sich untereinander entlang der strategischen Leitlinien ab.
In der Praxis begegnen wir häufig hybriden Organisationsformen: Projektstrukturen bestehen neben klassischen Abteilungen, temporäre Teams arbeiten parallel zu Linienorganisationen. In all diesen Formen bietet das Rollenmodell einen klaren Vorteil: Es schafft Orientierung, stärkt Verantwortung und fördert Zusammenarbeit unabhängig von der formalen Struktur.

Klarheit in hybriden und projektbasierten Organisationen
In hybriden und projektorientierten Arbeitsformen braucht es ein gemeinsames Rollenverständnis. Wer übernimmt welche Aufgabe? Wer entscheidet, koordiniert oder berät? Projekte und temporäre Bereiche bestehen oft aus mehreren, teilweise wechselnden Rollen. Damit diese Zusammenarbeit funktioniert, müssen die Rollen klar definiert, abgestimmt und transparent gemacht werden.
Rollen verändern sich – mit den Menschen, den Aufgaben und dem Kontext. Dabei zeigt sich die Bedeutung von Rollenflexibilität.
- Vertikale Flexibilität bedeutet: Eine Person übernimmt schrittweise mehr Verantwortung, etwa durch Führungsaufgaben.
- Horizontale Flexibilität heißt: Eine Person erweitert ihre Rolle, übernimmt neue Themen oder wechselt bewusst in andere Aufgabenbereiche.
In der Praxis bedeutet das: Teammitglieder nehmen unterschiedliche Rollen ein, je nach Situation, Bedarf und Stärke. Dadurch lernen sie sich selbst und andere besser kennen. Potenziale werden sichtbar, Rollen passgenauer verteilt.
Mit dieser Flexibilität verändert sich auch das Verständnis von Karriere. Sie ist kein geradliniger Aufstieg mehr, sondern eine individuelle Entwicklung entlang von Kompetenzen. Für die eine Person bedeutet der nächste Schritt mehr Verantwortung, für die andere neue Aufgaben oder ein Kontextwechsel. Wieder andere bleiben ihrem Fachgebiet treu und wachsen dort weiter.
Anders als Stellen in einem Organigramm sind Rollen nicht dauerhaft an Personen gebunden. Rollen können entstehen, verfallen oder ruhen. Wichtig ist die Passung zwischen Menschen, Aufgaben und Kontext.
Rollengestaltung mit Raum und Verantwortung
Rollenbeschreibungen geben Orientierung, keine Enge. Sie benennen Aufgaben, Verantwortung und Erwartungen, lassen aber in Abstimmung mit anderen Rollen im System Spielraum für individuelle Gestaltung. So entsteht ein Umfeld, in dem Mitarbeitende sich weiterentwickeln können: vom Ausführenden zum Gestaltenden.
Das erfordert ein verändertes Denken: Es geht um Können, Wollen und Dürfen. Also um die Fähigkeit, etwas zu leisten. Den Willen, Verantwortung zu übernehmen. Und die strukturelle Möglichkeit, das auch wirklich zu tun.
Am Ende entscheidet die Passung: Persönlichkeitsmerkmale und Kompetenzen bestimmen, wer eine Rolle ausfüllen kann. Wenn Aufgaben, Erwartungen und Rahmenbedingungen klar sind, kann sich eine Rolle wirksam entfalten – zum Nutzen der Einzelnen und der Organisation.
Fazit: Rollenbewusstsein beginnt bei dir – und verändert Organisationen
Wer sich selbst und andere besser verstehen will, kommt an der Auseinandersetzung mit Rollen nicht vorbei. Im ersten Schritt geht es darum, die eigenen Rollen zu erkennen und bewusst zu gestalten.
Im zweiten Schritt braucht es den offenen Dialog im Team oder in der Organisation. Organisationen, die strukturell ermöglichen, dass Menschen ihre Rollen klar wahrnehmen und gestalten können, gewinnen an Vertrauen, Eigenverantwortung und lebendiger Zusammenarbeit. Und genau das braucht es in einer Arbeitswelt, die immer komplexer und schneller wird.
Zum Weiterdenken
Verantwortung beginnt nicht mit dem Titel, sondern mit der Haltung
Rollenbewusstsein beginnt im Kleinen. In jeder Situation entscheiden wir aufs Neue, wie wir auftreten, welche Verantwortung wir übernehmen und wie wir anderen begegnen. Ob in Führung, Zusammenarbeit oder Projektarbeit – der Unterschied zwischen einer Rolle, die nur formal ausgefüllt wird, und einer, die bewusst gestaltet wird, ist spürbar. Wer sich seiner Rolle nicht nur funktional, sondern auch persönlich nähert, schafft Klarheit im Handeln und trägt zu einem stimmigeren Miteinander bei.
Für die persönliche Reflexion lohnt es sich, die eigenen Rollen regelmäßig zu hinterfragen. Welche davon nehme ich bewusst ein und welche haben sich eher nebenbei entwickelt? Wie gut kenne ich meine Stärken, meine blinden Flecken oder typische Verhaltensmuster? Nicht jede Reaktion kommt aus der Rolle, manches hat auch mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Es hilft, sich selbst ehrlich zu fragen: Welche Rollen liegen mir, wo brauche ich Unterstützung, und wo stimmen die Erwartungen von außen vielleicht nicht mit meinem Selbstverständnis überein? Auch der Wunsch nach mehr Klarheit oder Austausch ist ein wertvoller Hinweis auf Entwicklungspotenzial.
Organisationen und Teams profitieren, wenn Rollen nicht nur gelebt, sondern auch bewusst benannt werden. Welche Rollen sind klar sichtbar und welche existieren vielleicht nur informell? Wer übernimmt Verantwortung, und geschieht das bewusst oder eher aus Gewohnheit? Häufig gibt es Lücken oder Überschneidungen, die im Alltag zu Unklarheit führen. Eine gute Organisation schafft Strukturen, in denen Talente und Rollen zur Geltung kommen dürfen. Und sie geht offen mit Rollenwechseln um, statt sie unausgesprochen mitlaufen zu lassen.