Aushalten oder gestalten – warum Reviewgespräche oft scheitern und wie beide Seiten sie besser führen können.
Das Jahresende bringt viele Rituale mit sich. Adventskalender. Budgetrunden. Weihnachtsfeier. Und das große Pflichtprogramm der Jahresgespräche.
Kaum schiebt sich die letzte Kalenderwoche in Sichtweite, taucht der Termin plötzlich wieder im Outlook auf. Manche nehmen ihn gelassen. Andere spüren ein Ziehen im Bauch. Die Frage hängt in der Luft. Wird es Lob geben oder eine Generalabrechnung für das gesamte Jahr?
Viele Menschen erleben das Gespräch als etwas, das man eben „noch schnell in Q4“ erledigt. Ein Formular wird ausgefüllt. Ein paar Ziele ergänzt. Und nach einer knappen Stunde kehrt wieder Ruhe ein. Dabei könnte dieser Termin viel mehr sein als ein administratives Resthindernis vor den Feiertagen.
Wenn man genauer hinschaut, fällt etwas auf. Der Charakter des Gesprächs hängt weniger vom Formular ab, sondern von der Haltung, mit der beide Seiten hineingehen.
Führungskräfte, die es als Pflichtübung behandeln, erzeugen Distanz. Mitarbeitende, die sich klein machen oder sich vorsorglich innerlich zurückziehen, verschenken Chancen. Beide Perspektiven tragen dazu bei, dass das Gespräch im Ergebnis enttäuschend bleibt.
Dieser Artikel beleuchtet beide Seiten und zeigt, wie Jahresgespräche anders geführt werden können.

Warum Führungskräfte oft ungewollt Distanz erzeugen
Es beginnt häufig mit einem Satz, den viele schon einmal gehört haben: „Das machen wir, weil HR es verlangt.“ In diesem Moment verliert das Jahresgespräch seinen Sinn.
Sobald Führungskräfte es als Pflichttermin behandeln, schleicht sich eine Haltung ein, die Distanz schafft. Das Gespräch wird zu einer Checkliste. Ziele erreicht oder nicht? Kompetenz erfüllt oder nicht? Für Mitarbeitende fühlt sich das oberflächlich an, weil die eigentliche Arbeit des Jahres aus weit mehr besteht als aus Kennzahlen.
Besonders schwierig wird es, wenn im restlichen Jahr kaum Austausch stattfindet. Dann landen im Dezember plötzlich Themen auf dem Tisch, die längst hätten besprochen werden müssen. Das Gespräch kippt in Richtung Abrechnung. Und Mitarbeitende sitzen da mit dem Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.
Dabei könnten Führungskräfte diesen Mechanismus leicht durchbrechen. Oft reicht es, den Einstieg umzudrehen und das Gespräch mit einem Interesse für den Menschen zu beginnen:
- Welche deiner Aufgaben machst du gern?
- Und an welche denkst du mit Zähneknirschen?
- In welchen Bereichen würdest du dich als den „Besten“ oder die „Beste“ im Team sehen und weshalb?
- Was hast du in diesem Jahr gelernt?
- Welche deiner Ideen konntest du umsetzen? Und welche nicht?
- Wie erlebst du die Zusammenarbeit im Team?
- Gab es Momente, wo du dich über mich (Chef:in) geärgert hast?
- Wo brauchst du Unterstützung von mir (Chef:in)?
- Welche Verbesserungen sieht du für das Team, das Unternehmen oder deine Arbeitsumgebung?
Solche Fragen verändern den Ton unmittelbar. Sie holen Mitarbeitende aus der Defensive, weil sie als Menschen wahrgenommen werden und nicht als Bewertungseintrag. Und sie erinnern Führungskräfte daran, worum es eigentlich geht: gemeinsam Orientierung zu schaffen, statt vergangene Monate abzuarbeiten.
Dieser Einstieg schafft die erforderliche Nähe, um später über Ziele, Verantwortung und Entwicklung zu sprechen, ohne dass sich jemand klein oder kontrolliert fühlt.
Wie sich die Führungskraft auf das Gespräch vorbereiten sollte
1. Gute Vorbereitung beginnt nicht erst im Dezember, sondern unterjährig. Viele Führungskräfte verlassen sich auf ihr Gedächtnis und stellen dann fest, dass die ersten Monate des Jahres kaum noch präsent sind. Deshalb lohnt es sich, eine kleine Liste zu führen.
- Wo ist deinem Mitarbeitenden etwas so richtig gut gelungen?
- Wo hast du Entwicklung gesehen?
- Welche Situation hat gezeigt, dass er oder sie etwas Neues gelernt hat
Und hier gehören nur die positiven Dinge drauf. Das, was nicht gut läuft, sollte direkt besprochen werden.
2. Die Führungskraft sollte die zentralen Reflexionsfragen einige Tage vor dem Termin an die Mitarbeitenden geben. Viele brauchen Zeit, um über solche Fragen nachzudenken. Hilfreich ist, wenn die Führungskraft diese Fragen ebenfalls beantwortet – allerdings mit dem Fokus darauf, wie sie glaubt, dass der Mitarbeitende antworten könnte. Nicht, um zu raten, sondern um die eigene Wahrnehmung sichtbar zu machen. Im Gespräch erkennt man dann sehr schnell, wo Sichtweisen auseinandergehen. Unterschiedliche Einschätzungen lassen sich so nicht nur feststellen, sondern auch klären, bevor sie zu Missverständnissen oder falschen Erwartungen führen.
3. Genauso wichtig ist der zeitliche Rahmen. Ein Jahresgespräch braucht Ruhe. Wer den Termin zwischen zwei Meetings quetscht, nimmt sich selbst die Möglichkeit, wirklich zuzuhören. Ein großzügiger Puffer zeigt Wertschätzung. Nichts zerstört Vertrauen schneller, als ein Gespräch abbrechen zu müssen, während dein Gegenüber gerade ehrlich wird.
Wie Mitarbeitende stärker mitgestalten können
Viele Mitarbeitende betreten das Jahresgespräch mit einer Grundannahme: „Ich habe keine Wahl.“ Man setzt sich hin, beantwortet Fragen, erklärt die eigene Sicht, wartet ab. Also „same procedure as every year“. Man verliert aus dem Blick, dass man selbst Teil des Gesprächs ist. Dass man Fragen stellen und Erwartungen äußern kann.
Die Vorbereitung beginnt vor dem Gespräch. Mit einer Selbstreflexion.
- Welche Ziele haben wir im Team erreicht und was habe ich konkret dazu beigetragen? Was waren die Ursachen, wenn Ziele nicht erreicht wurden?
- Wie möchte ich auf Kritik oder Lob reagieren?
- Welches Feedback möchte ich meiner Führungskraft geben? Was brauche ich an Rahmenbedingungen, um gute Arbeit zu machen?
- Will ich über eine Gehaltsanpassung sprechen? Wenn ja, mit welchen zusätzlichen Aufgaben, Projekten oder neuen Rollen im Unternehmen kann ich die Erhöhung begründen?
- Wo möchte ich mich entwickeln? Gibt es Bereiche im Unternehmen, die ich ausprobieren will?
- Welche Weiterbildung würde mich voranbringen?
- Mit welchem Ergebnis möchte ich den Raum verlassen?
- Wie möchte ich mich nach dem Gespräch fühlen?
Diese Vorbereitung macht nicht nur selbstbewusster, sondern strukturiert auch das Denken der Führungskraft, weil sie plötzlich auf einen gut sortierten Gesprächspartner trifft.
Welche Fragen du dann im Gespräch stellen kannst
Sitzt du dann im Gespräch kannst du mit gezielten Fragen in den Austausch mit deiner Führungskraft kommen. Nicht konfrontativ, sondern auf Augenhöhe. Sie zeigen, dass du ein ernsthaftes Interesse für deine Arbeit hast und holen das Gegenüber mit in den Denkprozess.
- Wo siehst du für mich den wichtigsten Fokus in den nächsten Monaten?
- Was sind aus deiner Sicht meine größten Stärken, und wie kann ich sie stärker einbringen?
- Was habe ich in diesem Jahr getan, das deine Arbeit leichter gemacht hat – und was schwerer? Wie beurteilst du die Zusammenarbeit insgesamt?
- Diese Weiterbildung würde mir helfen – wie schätzt du das ein?
- Ich möchte mich in den nächsten drei Jahren in Richtung XY entwickeln. Welche Schritte sind aus deiner Sicht dafür notwendig?
Diese Fragen machen sichtbar, dass du die Verantwortung für die eigene Entwicklung, aber auch für die gemeinsame Zusammenarbeit übernimmst. Und deine Führungskraft versteht, was du brauchst, um deine Ziele zu erreichen.
Fazit: Was gute Gespräche in Bewegung setzen
Wenn Führungskräfte und Mitarbeitende auf Augenhöhe sprechen können, verliert das Jahresgespräch seinen Charakter als Pflichttermin. Es wird zu einem Moment, in dem man sich noch einmal bewusst begegnet. In dem man Dinge anspricht, die im Alltag untergehen. Und in dem man gemeinsam entscheiden kann, was im kommenden Jahr wichtig ist.
Zum Weiterdenken
Jahresgespräche zeigen oft nur einen Ausschnitt dessen, was in Teams und Organisationen tatsächlich passiert. Viele Themen, die im Alltag unter der Oberfläche bleiben, entscheiden darüber, wie gut Zusammenarbeit gelingt und wie Entwicklung möglich wird. Manchmal lohnt es sich deshalb, den Blick vom einzelnen Gespräch zu lösen und größere Muster zu betrachten.
- Wie leicht oder schwer fällt es unserem Team, offen über Erwartungen zu sprechen?
- Welche Themen werden bei uns regelmäßig aufgeschoben, obwohl sie wichtig wären?
- Wie gut gelingt es uns, aus Fehlern zu lernen und nicht nur darüber zu reden?
- Welche unausgesprochenen Regeln prägen unseren Alltag – und tun sie uns gut?
- Wie sichtbar ist Wertschätzung im Team, jenseits von Worten?
- Welche Muster wiederholen sich bei uns jedes Jahr, und welche davon sollten wir durchbrechen?
- Was wäre anders, wenn wir Entwicklung im Team nicht als Einzelfrage, sondern als gemeinsame Aufgabe sehen würden?


