Stark bleiben, statt ausbrennen

Resilienz für Führungskräfte: Energie statt Erschöpfung kultivieren.

Manchmal merkt man es erst, wenn man die Verabredung zum dritten Mal abgesagt hat. Oder wenn der Blick zur To-do-Liste nur noch Erschöpfung auslöst. Der Akku ist leer – nicht plötzlich, sondern schleichend.

Viele Menschen erleben im Arbeitsalltag eine dauerhafte Anspannung, die sich mit der Zeit in Erschöpfung verwandelt. Nicht durch ein einziges großes Ereignis, sondern durch eine Kette kleiner Überforderungen. Zu viele Themen gleichzeitig auf dem Tisch. Das Gefühl, Entscheidungen vertreten zu müssen, die gegen die eigenen Werte gehen. Keine Energie mehr für Entspannung nach Feierabend. Die Reaktion darauf? Rückzug. Der private Raum wird zum Schonraum. Nachrichten bleiben unbeantwortet, Gespräche werden aufgeschoben. Und die Frage, wo man abends essen gehen möchte, wird zur Zumutung, weil sie noch eine Entscheidung mehr verlangt.

Resilienz – also die Fähigkeit, auch unter Druck innerlich stabil zu bleiben – ist in solchen Situationen kein „Nice to have“. Sie wird zur Überlebensstrategie. Und sie beginnt nicht mit der einen großen Veränderung, sondern mit kleinen Schritten.

Was füllt deinen Energietank?

Wie voll ist mein Energietank – auf einer Skala von 1 bis 10?

Wer hier ehrlich antwortet, bekommt einen ersten Hinweis auf den eigenen Zustand. Viele Menschen bleiben irgendwo zwischen 5 und 7 stehen. Niemand sagt spontan 10. Und das sagt viel darüber, wie wir gerade arbeiten. Dauererreichbarkeit, Meeting-Overload, widersprüchliche Erwartungen – das alles zehrt.

Studien zeigen: Über 70 % aller Meetings werden als unproduktiv empfunden.

Gleichzeitig fällt es schwer, den Arbeitstag wirklich zu beenden. Die Grenze zwischen Arbeit und Pause verschwimmt, im Homeoffice genauso wie im Büro. Doch genau das ist der Punkt, an dem Resilienz ansetzt: nicht, indem sie Härte fordert, sondern Haltung.

Die sieben Säulen der Resilienz

In der Forschung wurden sieben Merkmale identifiziert, die resiliente Menschen auszeichnen. Sie sind keine Checkliste zum Abhaken, sondern innere Haltungen, die gerade in unübersichtlichen Zeiten Orientierung geben.

1️⃣ Optimismus
Eine zuversichtliche Grundhaltung, die auch in schwierigen Phasen das Positive sucht. Optimismus ist nicht naiv, sondern hilft, Perspektiven zu wahren und neue Handlungsspielräume zu sehen.

2️⃣ Akzeptanz
Die Fähigkeit, Dinge anzunehmen, wie sie sind – ohne in ihnen stecken zu bleiben. Akzeptanz bedeutet, den Widerstand gegen das Unveränderliche loszulassen und die Energie auf das zu richten, was man selbst beeinflussen kann.

3️⃣ Lösungsorientierung
Nicht das Problem, sondern der nächste Schritt zählt. Resiliente Menschen fokussieren sich auf Möglichkeiten statt auf Blockaden. Führung heißt in diesem Sinne nicht Kontrolle, sondern Bewegung erzeugen.

4️⃣ Verlassen der Opferrolle
Sich nicht als ausgeliefert erleben, sondern als handlungsfähig. Diese Haltung markiert den Wendepunkt von „Ich kann nichts tun“ zu „Ich kann entscheiden, wie ich reagiere“.

5️⃣ Verantwortung übernehmen
Klarheit über den eigenen Einflussbereich und der Mut, genau dort aktiv zu werden. Selbstführung ist kein Rückzug, sondern das bewusste Gestalten des eigenen Beitrags.

6️⃣ Netzwerkorientierung
Resilienz entsteht nicht in Isolation. Der Kontakt zu anderen Menschen – sei es für Perspektiven, Feedback oder Unterstützung – ist ein zentraler Faktor für innere Stabilität.

7️⃣ Zukunftsplanung
Bewusst Ziele setzen und auf etwas Positives hinarbeiten. Wer eine Richtung hat, kann auch bei Gegenwind stabil bleiben. Diese sieben Säulen zeigen: Resilienz hat viel mit Selbstwahrnehmung, aber auch mit Selbstgestaltung zu tun. Es geht darum, sich nicht nur durch den Tag zu retten, sondern wieder handlungsfähig zu werden.

Energieräuber vs. Energiespender

Resilienz beginnt oft mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme: Was kostet mich Energie – und was gibt sie mir zurück?

Typische Energieräuber im Arbeitsalltag sind:

  • Ständige digitale Unterbrechungen
  • Zu wenig Fokuszeit für echte Denkarbeit
  • E-Mails oder Chats außerhalb der Arbeitszeit
  • Aufgaben ohne sichtbares Ergebnis oder gefühlten Sinn

Solche Faktoren summieren sich. Abends ist man erschöpft, hat aber trotzdem das Gefühl, nichts geschafft zu haben.

Dem gegenüber stehen konkrete Energiespender:

  • Mikropausen zwischen Terminen
  • Gespräche, die Verbindung schaffen
  • Bewegung statt stundenlangem Sitzen
  • Aufgaben, bei denen Kompetenz und Sinn zusammenkommen

Diese Energiespender füllen keinen völlig leeren Speicher. Aber sie helfen, dass er nicht leerläuft. Und sie signalisieren Körper und Geist: Du darfst zur Ruhe kommen.

Der Körper weiß es zuerst

Bevor der Kopf versteht, dass etwas zu viel wird, sendet der Körper längst Signale. Verspannte Schultern, ein flauer Magen, ständiges Aufschieben kleiner Aufgaben. All das sind sogenannte somatische Marker. Sie sind wie innere Wegweiser, die anzeigen, wann die Belastungsgrenze erreicht ist. Wer gelernt hat, diese Signale früh zu erkennen, kann rechtzeitig gegensteuern. Nicht mit einer Auszeit auf Bali, sondern mit kleinen Veränderungen im Alltag.

10 kleine Workhacks mit großer Wirkung

Viele denken bei Resilienz an Coaching oder Therapie. Dabei helfen meist schon kleine Routinen. Hier ein paar erprobte Workhacks, die im Alltag helfen können:

1. Mittagspause blocken: Trag sie als festen Serientermin ein. Wer regelmäßig isst, denkt klarer und trifft bessere Entscheidungen.

2. Tagesstart mit Struktur: Die erste halbe Stunde gehört dir. Priorisiere, bevor andere es tun. So beginnt der Tag mit Richtung und nicht mit Reaktion.

3. Benachrichtigungen zähmen: Pop-ups, Pings, Klingeltöne aus. Neue Mails nur in festen Zeitfenstern prüfen, z. B. dreimal täglich und das auch kommunizieren.

4. Meetings bündeln: Alle Regelmeetings auf einen Tag legen, schafft an den anderen 4 Tagen mehr Zeit für Fokus. So bleibt Raum für Nachdenken statt Nacharbeiten.

5. Arbeiten nach Energie, nicht nach Uhrzeit: Plane Aufgaben nach Energielevel, nicht nur nach Deadline. Zum Beispiel vormittags Strategie, nachmittags Routine.

6. Walk & Talk: Abstimmungen einfach beim Gang um den Block führen. Bewegung löst festgefahrenes Denken.

7. Digital Detox-Meetings: Lasst bei Meetings das Handy draußen. Kein Scrollen, kein Ablenkung.

8. Einen 3-Minuten-Reset machen: Eine Minute atmen, eine Minute Schultern lockern, eine Minute Fokus neu setzen. Kleine Pausen, große Wirkung.

9. Zwischen Reiz & Reaktion: Kurz innehalten und innerlich sagen: „Interessant, was hier passiert.“ Ein bewusster Atemzug verhindert zehn impulsive E-Mails.

10. Soziale Energie tanken: Such regelmäßig den Kontakt zu Menschen, die Energie geben statt ziehen.

Fazit: Was hilft, wenn der Akku fast leer ist?

Resilienz ist kein Zustand, sondern eine Praxis. Und sie wächst mit jeder bewussten Entscheidung, sich selbst ernst zu nehmen. Wer früh erkennt, was Energie kostet und was sie zurückbringt, bleibt auch in anspruchsvollen Phasen klar und handlungsfähig. Es geht nicht darum, immer stark zu sein, sondern rechtzeitig innezuhalten. Kleine Routinen und ein unterstützendes Umfeld machen den Unterschied.

Zum Weiterdenken

Resilienz ist nicht nur ein individuelles Privatthema. Sie zeigt sich im persönlichen Umgang mit Druck, aber sie entsteht im Kontext. Und genau hier können Unternehmen und Teams viel bewirken. Wer bewusst Raum für ein Innehalten gestaltet, stärkt nicht nur die Einzelnen, sondern das ganze System.

  • Wird über Belastung offen gesprochen? Gibt es Räume, wo dies ohne Angst vor Bewertung geschehen kann?
  • Gibt es Raum für Mikropausen, Fokustage oder bewusste Übergänge in den Feierabend?
  • Geht es nur um kurzfristige Ergebnisse, oder auch darum, wie sie zustande kommen?

Weitere Blogartikel

Worum es im Jahresgespräch wirklich geht

Worum es im Jahresgespräch wirklich geht

Aushalten oder gestalten – warum Reviewgespräche oft scheitern und wie beide Seiten sie besser führen können. Das Jahresende bringt viele Rituale mit sich. Adventskalender. Budgetrunden. Weihnachtsfeier. Und das große Pflichtprogramm der Jahresgespräche. Kaum schiebt...

mehr lesen
Purpose als Anker in unsicheren Zeiten

Purpose als Anker in unsicheren Zeiten

Wenn das "Warum" stirbt, verliert die Organisation ihre Seele. Strategien ändern sich. Märkte schwanken. Tools kommen und gehen. Was bleibt, wenn vieles in Bewegung ist? Der Purpose: das Warum. Organisationen suchen nach Orientierung. Sie investieren in...

mehr lesen
Warum Rollen wichtiger als Titel sind

Warum Rollen wichtiger als Titel sind

Rollenbewusstsein als Schlüssel moderner Zusammenarbeit. Zwischen Führungskraft, Kolleg:in, Elternteil und Projektleitung wechseln wir täglich unsere Rollen – oft unbemerkt. Doch was passiert, wenn Rollenerwartungen unklar oder widersprüchlich sind? Warum...

mehr lesen